Wahrnehmung und Design des Raumes in VR

Cyberspace-Design und Neurowissenschaften in Virtual Reality, Teil 2.

Wir schauen uns künstlerische Techniken wie die Zentralperspektive und optische Verkürzung, sowie die Raumwirkung monokularer Tiefenkriterien an – und zwar im Kontext aktueller Forschungen der Neurobiologie. Wir wollen dabei u.a. herausfinden, warum „Space Pirates Trainer“ so glaubwürdig ist, und wie es möglich ist, dass uns VR das flache Display vor unseren Augen einfach vergessen lässt. 

Ein wesentlicher Teil des VR Erlebnisses wird durch die Wahrnehmung von Raum bestimmt. Da wir uns nicht auf einer „Flat Earth“ befinden, ist der Erfolg einer virtuellen Nachbildung der Realität zu einem großen Teil davon abhängig ob es gelingt, den Raumeindruck zu vermitteln. VR-User schauen bekanntlich auf ein flaches Display, das sich recht nahe an ihrem Gesicht befindet. Um diese Situation in ein Raumerlebnis zu verwandeln, ist es für ein gelungenes Design in VR unerlässlich, gezielt alle Kategorien der Wahrnehmung zu bedienen, die räumliches Empfinden unterstützen.

Cyber-

space

Design

3-Dimensional sehen

In stereoskopischen Bildern werden beiden Augen unterschiedliche Bilder gezeigt, die optisch leicht versetzt sind (Bekannt bspw. vom „3D Kino“). In VR ist dies eine der bedeutendsten Techniken zur Vermittlung glaubwürdiger Raumwirkung. Tatsächlich ist das menschliche Gehirn aber nur in der Lage Bilder dreidimensional zu empfinden, wenn die gesehenen Objekte nicht weiter als 4 – 5 Meter von einander entfernt sind. Auch im „realen“ Alltag sehen wir alles, was weiter als diese Distanz von uns entfernt ist, tatsächlich wie ein flaches Bild. Wir empfinden das Bild dennoch nicht als flach. Der Grund dafür liegt in unserem Wahrnehmungsapparat, der den Aufbau der Umgebung in Linien, Ebenen und Objekte zerlegt, die den Raum erst als solchen erlebbar machen.

der mensch sieht in der realität ab 5 Metern Entfernung nur ein flaches Bild

Im Folgenden schauen wir uns dazu künstlerische Techniken wie die Zentralperspektive und optische Verkürzung, sowie die Raumwirkung monokularer Tiefenkriterien etwas genauer an, und zwar im Kontext aktueller Forschungen der Neurobiologie. Wir wollen dabei u.a. herausfinden, wie es möglich ist, dass uns VR das flache Display vor unseren Augen einfach vergessen lässt

die Räumliche Wahrnehmung

Räumliche Wahrnehmung ist Teil des Bottom- Up Prozesses im menschlichen Gehirn. Wie in Teil 1 dieser Serie über die Biologie der Wahrnehmung und VR  beschrieben, geht es bei Bottom -Up Vorgängen um jene Vorgänge, die in dem Entwicklungsgeschichtlich älteren Teil unseres Gehirns, va. dem Stammhirn, verarbeitet werden. Dabei werden vor allem datengetriebene Informationen prozessiert, die von Erinnerungen unabhängig sind. Deshalb gelten die gleichen Regeln für die Wahrnehmung des Raumes für nahezu alle Menschen mit normalem Sehverhalten, sie sind unabhängig von kulturellen Einflüssen. Dieser Umstand macht ein genaueres Verständnis von Raum umso wichtiger, denn gelungene VR Erlebnisse können und sollen global funktionieren.

raum, fläche und wirklichkeit

die zentralperspektive

Die Kunst beschäftigt sich schon seit jeher mit der Frage, wie man Raum auf einer Fläche darstellen und vermitteln kann. Während der Renaissance wurde zu diesem Zweck die Technik der Zentralperspektive erfunden, die seit jeher so ziemlich überall, vom Kino bis zu Instagram, eingesetzt wird. Mit Hilfe der Zentralperspektive entsteht der Eindruck, als würden sich dargestellte Objekte eines Bildes so verhalten, wie sie es auch in der Wirklichkeit tun. Dabei verlaufen sämtliche Linien, die in die Tiefe des Raumes gehen, auf einen Fluchtpunkt zu, der auf der Horizontlinie liegt. Der Effekt wird auch Verkürzung genannt, da die Linien, welche in den Raum weisen, verkürzt abgebildet sind.

 

Um sämtliche Blickrichtungen wirksam räumlich darzustellen, so wie dies in VR nötig ist, genügt die Zentralperspektive allerdings nicht. In der Zeichnung und Malerei wird auch die optische Verkürzung eingesetzt, um Körper, Objekte und Personen räumlich darzustellen. Diese Technik findet sich schon in den 35000 Jahre alten Meisterwerken in den Chauvet Höhlen, wo Tiergruppen perspektivenartig dargestellt werden.

genaueres betrachten

Wie vollzieht sich nun die Wahrnehmung der räumlichen Tiefe in unserem Gehirn? Die Neurowissenschaft weiß, dass das menschliche (Säugetier-) Auge keine Kamera ist. Es registriert das Bild einer Szene oder einer Person nicht Pixel für Pixel. Auch die Farben werden nicht genau „aufgezeichnet“. Vielmehr wählt und sortiert das Sehsystem Informationen aus. Wie etwa Hubel und Wiesel in ihrer Forschung schon 1962 festgestellt haben, reagieren Neuronen in der primären Sehrinde nicht einfach auf Linien, sondern auf Linien mit einer bestimmten Orientierung. Manche Neuronen sind für senkrechte, waagrechte oder schräge Linien zuständig. Aus dieser getrennten Wahrnehmung von Linien wird eine dem Subjekt als selbstverständlich erscheinende Zuordnung räumlicher Tiefe möglich. Verschiedene Teile können in der Seherfahrung leichter als hintereinander angeordnet empfunden werden.

Manche Neuronen sind für senkrechte, waagrechte oder schräge Linien zuständig.

Künstler wie Mondrian und Malevitsch haben die Linie in ihrer raumgebenden Funktion identifiziert. Einfache Formen und Linien sind sehr leicht erkennbar. Ein erhöhter Kontrast reduziert Bilder auf ihre wesentlichen Formen und Linien. Deshalb ist es im Design von VR Experiences von großer Bedeutung, mit viel Kontrast zu arbeiten. „Space Pirates Trainer“ etwa macht sich dieses Prinzip zu nutze. Das VR Game wirkt unter anderem deshalb sehr immersiv und lässt die User glatt darauf vergessen, dass sie sich nicht in der Wirklichkeit befinden.

Monokulare Tiefenkriterien:

Eric Kandel beschreibt dass ein Großteil der Tiefenwahrnehmung, einschließlich der Perspektive, auf monokulare Kriterien zurückgeht:
 
„Tatsächlich sind die Bilder, die die Netzhaut beider Augen jeweils liefert, ab einer Distanz von sechs Metern im Grunde identisch, obwohl sie wegen der Nase ein klein weniga useinanderliegen. Demzufolge macht es keinen Unterschied, ob wir ein so weit entferntes Objekt mit einem oder beiden Augen betrachten. Dennoch bereitet es uns selten Mühe, die relative Position eines entfernten Objekts zu beurteilen. Wir nehmen auch mit einem Auge Tiefe wahr, weil sich das Gehirn einer Reihe von Tricks bedient, die wir monokulare Tiefenkriterien nennen. Diese Kriterien sind Künstlern schon seit Jahrhunderten Bekannt und wurden von Leonardo da Vinci zu Beginn des 16. Jahrhunderts systematisch erfasst.“

Okklusion (Verdeckung): Weist durch Unterbrechungen (Punkte 4 und 5 der folgenden Abbildung.) auf räumliche Tiefe hin.

 Lineare Perspektive: Linien (Punkte 6-7) verlaufen parallel, beginnen sich aber auf der Bildebene anzunähern.

 Relative Größe: Wir gehen davon aus, dass beide Jungen gleich groß sind. Deshalb ist für uns der kleinere Junge (Punkt 2) weiter entfernt als der große (Punkt 1). Das selbe Prinzip weist uns auf die Entfernung der Rechtecke 4 und 5 hin.

 Bekannte Größe: Der Mann (Punkt 3) und der Junge im Vordergrund sind etwa gleich groß. Da wir wissen, dass der Mann weiter entfernt ist, und auch größer sein muss, schließen wir auf eine weitere Entfernung. Dieses Kriterium ist jedoch weniger stark als die anderen.

 Atmosphärische Perspektive: Wärmere Farben erzeugen den Eindruck von Nähe, während kältere Farben Tiefe vermitteln.

Weitere Kriterien:

 Schattierung: Der amerikanische Astronom David Rittenhouse entdeckte, dass unser Gehirn davon ausgeht, dass nur eine einzige Lichtquelle das gesamte Bild beleuchtet, sowie davon, dass diese von oben kommt. Dadurch entsteht ein besonders großer Eindruck von Dreidimensionalität.

 

 Diese Annahme beruht wahrscheinlich darauf, dass die Evolution von Säugetieren in einer Welt mit nur einer Lichtquelle stattgefunden hat, und die Sonne scheint nun mal von oben. Deshalb erscheint eine von oben beleuchtete runde Form konvex, während die gleiche runde Form konkav erscheint, wenn sie unten hell ist. Die einzelnen grauen Objekte im Bild (oben, rechts) erwecken den Eindruck, dass sie von oben angestrahlt werden, und heben sich konkav aus dem Bild hervor. Wenn wir uns vorstellen, dass sie von unten angestrahlt werden, wird das Bild zu einem „Muffinblech“ und die Formen ragen konvex in die Tiefe. Wird der Verlauf abgewechselt (oben, links), ist es nicht mehr möglich, eine einheitliche Beleuchtung und damit räumliche Wirkung zu identifizieren. 

 Für die räumliche Wahrnehmung in VR spielt nicht zuletzt der Ton eine tragende Rolle. Spherical Audio verstärkt die subjektive Raumwahrnehmung in VR. Siehe dazu unseren Artikel zu Spatial Audio in VR.

Wenn Sie mehr zu Cyberspace Design wissen wollen, kontaktieren Sie uns gerne, wir freuen uns über ihre Nachricht!

 

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Andreas Fraunberger

Andreas Fraunberger

Produzent für Extended Realities. Managing Partner bei Junge Römer. Doktor der Philosophie und Univerisitätslektor. Lieblingstänze: Afro-Haitian Dance, Tango, ChaChaCha, Contact Improvisation. Here are Andreas’ 13 Favorite Problems!
Andreas Fraunberger

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Produzent für Extended Realities. Managing Partner bei Junge Römer. Doktor der Philosophie und Univerisitätslektor. Lieblingstänze: Afro-Haitian Dance, Tango, ChaChaCha, Contact Improvisation. Here are Andreas’ 13 Favorite Problems!