Cyberspace-Design und Neurowissenschaften

Teil 1: Facts zur Biologie der Wahrnehmung im Kontext von Virtual Reality.

Die Wahrnehmung ist in einer Falle – Virtual Reality bemüht sämtliche Kategorien aus der Trickkiste der visuellen Wahrnehmung, um einen vor die Augen gespannten Bildschirm zu einer wie real erlebten, räumlichen Wirklichkeit werden zu lassen.

Der momentane Entwicklungsstand von VR ist dabei schon relativ weit, allerdings fehlt bis zu einer Bildqualität, die auch nur annähernd an die Realität herankommt, noch ein ganzes Stück. Pixeldichte, Raumtiefe, Fokus, Farbqualität und  Bildwiederholraten sind dabei nur die wichtigsten Aspekte, an denen die Hardware-Hersteller um die Wette feilen.

Nichtsdestotrotz existieren bereits VR Experiences auf hohem Niveau, die den User zumindest für eine ganze Weile darauf vergessen lassen, dass das Erlebte nur virtuell ist. User berichten von starken emotionalen Erlebnissen, von Empathie und von gefühlter räumlicher Freiheit.

The Magic
of VR

Wenn wir diese „Magic of VR“ verstehen und sie im Design von VR Erlebnissen gezielt einsetzen wollen, können wir uns die Erkenntnisse der Neurowissenschaft zunutze machen.

Aufbauend auf den Erkenntnissen der Theorie der visuellen Wahrnehmung hat die Wissenschaft des Gehirns revolutionäre Einsichten in die Funktionsweise unseres visuellen Erlebens geschaffen. Unter anderem greifen die technischen Entwicklungen von VR Devices auf diese empirischen Daten zurück – uns von Junge Römer begleiten diese, aus Design-Sicht spannenden Fakten täglich bei der Arbeit mit VR.

Aus welchen Parametern setzen sich also unsere visuellen Wahrnehmungen zusammen und welche davon können wir im Design von VR Experiences nutzen?

Bottom up Verarbeitung

…beschreibt jene Vorgänge die in den entwicklungsgeschichtlich älteren Teil unseres Gehirns, dem Stammhirn und seiner umliegenden Regionen, verarbeitet werden. Sie wird ausgelöst, indem ein Stimulus unsere Wahrnehmung beeinflusst. Es wird dabei kein zuvor erworbenes Wissen vorausgesetzt. So werden kleine Teile von Dingen, die für den Betrachter neu sind, in den Fokus genommen und Daten dazu gewonnen.

Hier ein Beispiel: Innerhalb der ersten Millisekunden eines Wahrnehmungsvorgangs, wird ein Bild zuerst in Gruppen unterteilt. Dabei beziehen wir uns auf Kontraste, Linien und Kanten – es handelt sich um datengetriebene Information.

Designs in VR müssen also auf solche visuellen Qualitäten zurückgreifen, wenn es sich um schnelle Erlebnisse mit viel Bewegung in der Blickrichtung handelt.

"Top Down" Verarbeitung

Bei dieser Variante der Wahrnehmung greifen wir auf Erlerntes, sowie auf Erwartungen zurück – sie basiert damit auf individuellen Theorien. Zeitlich erfolgt sie um einige Millisekunden später als „bottom up“. Hier werden die entwicklungsgeschichtlich neueren Teile unseres Gehirns beansprucht.

Diese beiden Beispiele zeigen gut, was bei „Top Down“ Verarbeitung geschieht: der mit schwarzen Linien gezeichnete Quader (links) und das weiße Dreieck (rechts) sind nicht wirklich da, beide Formen werden in unserer Erinnerung erzeugt bzw. vervollständigt.

Im Gestaltungsprozess können wir also auf die Wirkungsweise von Erinnerungen zurückgreifen, die möglicherweise nicht komplette Bildinformationen (etwa durch geringe Pixeldichte in manchen VR Devices) ergänzen.

Die Biologie der visuellen Reaktion auf Kunst

Das Bild trifft auf die Retina und wird in elektrische Signale übersetzt, die über den optischen Nerv zum Thalamus übertragen werden. Dort kommt es zu „Bottom Up“ Wahrnehmung: Zuerst werden Kontraste, Linien und Ecken identifiziert, zeitlich etwas später folgen erst virtuelle Abgrenzungen, Farben sowie Bewegungen.

Erst danach werden komplexe Formen wie Hände, Körper und Gesichter erkannt. Im primären visuellen Kortex wird das Bild schließlich durch „Top Down“ Wahrnehmung vervollständigt und mittels der Erinnerung ergänzt.

Das menschliche Gehirn

ZAPFEN UND STÄBCHEN

Die Retina unserer Augen kann man in ihrer Funktionalität mit dem Bildsensor einer Digitalkamera vergleichen. Sie verwandelt die Bildinformationen in elektrische Signale und gibt sie an den Sehnerv weiter. Die Retina besitzt zwei Typen von Rezeptoren: Zapfen und Stäbchen. Zapfen sind für die Wahrnehmung von Kontrasten, Farbe und feinen Details zuständig. Die Rezeption von Kunstwerken erfolgt meist über diese Qualitäten. Stäbchen hingegen sind lichtempfindlicher, vermitteln uns Helligkeitswerte, starke Lichtkontraste, Bewegungen und sind für die Wahrnehmung in der Nacht zuständig.

Stäbchen sind dabei im Gegensatz zu Zapfen in ihrer Verteilungsdichte vom Zentrum in die Peripherie hin abnehmend verteilt. Daher kommt es, dass wir in unserem zentralen Gesichtsfeld Details erkennen, während die Wahrnehmung von dunklen Situationen und Bildern in der Peripherie erfolgt. Diese peripheren Informationen sind direkter mit der Empfindung von Emotionen verbunden, als das, was mit den Zapfen wahrgenommen wird. Deshalb funktionieren emotionale Bildinhalte oft besser peripher.

FEINE Details

…das ist eine Eigenschaft, die uns aktuelle VR Displays noch nicht perfekt vermitteln können. Die Peripherie allerdings lässt sich in VR hervorragend abbilden, da wir durch die Beweglichkeit des Blicks über ein gefühlt uneingeschränktes Sichtfeld verfügen. Deshalb funktionieren emotionale Bildqualitäten in VR hervorragend, etwa Aufnahmen von mystischen Landschaften, Achterbahnfahrten oder „spacig“ wirkende Interfaces. Die Betrachtung eines Kunstwerkes an einer virtuellen Wand hingegen ist, verglichen mit einem Museumsbesuch, ein eher bescheidenes Erlebnis.

Fazit

Virtuelle Umgebungen sollten möglichst expressiv, kontrastreich und atmosphärisch gestaltet sein, damit die periphäre Wahrnehmung mit ausreichend Information versorgt ist, und damit der zentralen Wahrnehmung von der Konzentration auf das Erkennen von mangelnder Pixeldichte „hinweggeholfen“ werden kann. Auch Figuren handeln körperbetont und ausdrucksstark.

Im nächsten Teil der Serie Wahrnehmung in VR zeigen wir euch, wie die dreidimensionale Wahrnehmung zustande kommt und wie der Virtuelle Raum in seiner räumlichen Wirksamkeit verbessert werden kann.

In der Zwischenzeit dürfen wir dich einladen, einen Blick auf unsere VR Projekte zu werfen.

Wir orientieren uns in dieser Reihe an dem wunderbaren Werk „Das Zeitalter der Erkenntnis“ des aus Wien stammenden Nobelpreisträgers Eric Kandel, der in New York lebt und arbeitet. Der Autor untersucht dabei Kunstwerke der Wiener Moderne. Diese Einsichten wollen wir uns für Analyse und Gestaltung einer (auch) Wiener „Cybermoderne“ zunutze machen.

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Andreas Fraunberger

Andreas Fraunberger

Produzent für Extended Realities. Managing Partner bei Junge Römer. Doktor der Philosophie und Univerisitätslektor. Lieblingstänze: Afro-Haitian Dance, Tango, ChaChaCha, Contact Improvisation. Here are Andreas’ 13 Favorite Problems!
Andreas Fraunberger

Andreas Fraunberger

Produzent für Extended Realities. Managing Partner bei Junge Römer. Doktor der Philosophie und Univerisitätslektor. Lieblingstänze: Afro-Haitian Dance, Tango, ChaChaCha, Contact Improvisation. Here are Andreas’ 13 Favorite Problems!